SORANO und sein GENIUS LOCI
Der folgende Text stammt aus dem Buch von A. Carrucoli, CIOFRO "IL PROFETA", herausgegeben von der Gemeinde Sorano im Jahr 1995. Mit freundlicher Genehmigung des Autors laden wir Sie zu einem symbolischen Spaziergang durch die Straßen und die Geschichte von Sorano ein.
„Wer heute die kurvenreiche Straße San Rocco hinunterfährt und die Lente-Brücke erreicht, erblickt zur Linken ein altes, graues Dorf, das sich auf einer Tuffzunge zwischen den Bergen erhebt, überragt von der imposanten Silhouette der Festung Orsini mit dem angrenzenden Palazzo Ricci-Busatti. Dies ist der alte Teil des antiken Sorano, einem kleinen Dorf in der Provinz Grosseto, zu dessen Füßen der Fluss Lente – ein Nebenfluss des Fiora – durch zerklüftete Tuffschluchten fließt und dabei mit Farben und kleinen Wasserfällen spielt.“
„Die Silhouette des alten Dorfes ist heute fast identisch mit der, die einst den Bauern erschien, wenn sie sich über San Rocco in den spektakulären etruskischen Hohlweg wagten, der sich tief in das Tuffgestein windet und dort endet, wo die Bäche Cercone und Castel Sereno in die Lente münden. Von dort stiegen sie hinauf und betraten Sorano durch das sogenannte ‚Tor der Merli‘.“
Sorano ist über Pitigliano, San Quirico, Montorio und Sovana erreichbar, doch der alte Ortskern bleibt dem Besucherblick verborgen – tief eingebettet in eine jener vielen Tuffschluchten, die sich wie von selbst ins nahe Fioratal öffnen.
Fährt man die Provinzstraße von Pitigliano nach Sorano, sieht man – wenn man die neuen Häuser und ein paar moderne Villen ausblendet – nur die gedrungene, massive Festung Orsini. Sie erscheint niedrig gebaut, weil sie scheinbar mit dem umliegenden Land auf gleicher Höhe liegt – wie eine Insel, die aus leeren Wassern auftaucht.
Und dort unten, in einer dieser Tuffschluchten, liegt das alte Sorano. Es verbirgt seine Häuser bis zuletzt, die sich schichtweise den Felsen hinaufwinden. Um in das historische Zentrum zu gelangen, geht man vom Piazza della Fonte – wo sich einst die Brunnen der Einwohner befanden – durch den Ferrini-Bogen (das alte obere Tor) und folgt der Via Giovanni Selvi (ab dem „Bärenball“ Via Roma), die immer steiler zur alten Piazza della Fontana führt – ehemals Piazza Vittorio Emanuele, heute Piazza Vanni – mit einem Brunnen in einer konkaven Wand. Biegt man dort links ab und folgt der kleinen, anfangs gewundenen Gasse (Via del Borgo), gelangt man zur kleinen Kirche ‚Madonna del Buon Consiglio‘, die einst regelmäßig für Bittgebete geöffnet wurde.
Dieser Teil des Dorfes heißt Borgo und ist zweifellos der charakteristischste und eindrucksvollste Bereich des historischen Zentrums. Auf engem Raum und mehreren Ebenen, verbunden durch kleine Brücken und Treppen, errichteten die Soranesen ihre hohen Häuser – wie Bäume, die nach Licht und Luft streben.
In diesem Teil der Stadt hat man das Gefühl, von den engen, steilen Gassen verschlungen zu werden, die sich winden und kreuzen, von den Tunneln und den zahllosen Tuffkellern, die ein faszinierendes Labyrinth bilden. Im letzten Jahrhundert war der Borgo der bevölkerungsreichste Teil Soranos – das dichte Baugefüge schuf eine soziale Einheit, in der viele Familien gemeinsam auf diesem Tuffvorsprung lebten.
Wenn man die gewundene Via del Borgo hinuntergeht, kann man sich vorstellen, wie die Jahreszeiten einst in diesem belebten Teil des Ortes gelebt wurden. Vor dem inneren Auge entstehen Szenen voller Leben, Aufregung und Klatsch in Frühling und Sommer, leises Murmeln und langsame Schritte an den feuchten Herbsttagen, erhellt durch die besonders reiche und fröhliche Weinlesezeit.
Dann kommt der Winter mit seinen kalten und unruhigen Tagen, die das ganze Dorf in Kälte hüllten – doch selbst in der kleinsten Hütte flackerte Leben am warmen Herdfeuer. Mit diesen Gedanken verweile ich vor der kleinen Kirche ‚Madonna del Buon Consiglio‘ zwischen Via del Cimitorio und Via del Borgo. Dahinter, am Ende eines kurzen Abstiegs, steht ein bescheidenes Häuschen, überragt von weiteren kleinen Gebäuden, das fast im Boden zu versinken scheint. In diesem engen Haus wurde 1868 Cesare Bandelloni geboren, genannt „Ciofro“.
...nur wenige Schritte entfernt liegt der Keller von Domenico Papini, genannt „il Figlietto“, wo im August 2004 nach sorgfältiger Restaurierung die enOsteria L'Ottava Rima entstand.